„ES IST ERST VORBEI, WENN ES VORBEI IST“
Ich bin früh aufgewacht, Die Fjellstove hat einen Computer an dem ich jetzt diesen Artikel schreibe.
Ganz für mich allein wurde ein Frühstücksbuffet aufgestellt, alles auf Platten direkt auf meinem Tisch, da ich der einzige Gast bin.
Grundsätzlich passieren 95% der norwegischen Laufer Ljosland Fjellstove, wie man an der Wand mit den ganzen Postkarten sieht die vom Nordkap oder aus Lindesnes Fyr abgeschickt wurden. Die Route Lindesnes-Ljosland-Haukeli-Finse-Otta-Alvdal macht auch am meisten Sinn, da man kaum Breitengrade mitnimmt.
Nach einem zweistündigem Telefonat mit Hansjørg habe ich beschlossen dass der Tag schon zu weit fortgeschritten ist & ich jetzt einfach einen Ruhetag in der gemütlichen Ljosland Fjellstove verbringe.
119km verbleiben, das Ende ist absehbar, also sollte das wohl drin sein.
NO MORE RUSH! 🙂
Ich bin etwas hin und hergerissen in diesen Tagen zwischen
„..ey ich will heim, in ein warmes Bett, jeden morgen eine warme Dusche & meine (defekte) Jura Kaffeemaschine zurueck..“
und
„..lass es nicht enden! Darf ich bitte nochmal..???“
Es ist sehr früh am nächsten Morgen als ich mich nach dem Frühstück auf meinen Weg mache mein Ziel ist heute Kyrkjebygda. Ich bin zügig unterwegs, da mein Rucksack sehr leicht ist und folge dem See das bunt gefärbte Vestredalen entlang. Es regnet. Manchmal fühle ich mich wie Forrest Gump in Vietnam. Regen von allen Seiten seit gefühlten Jahren.
Was mich in Kyrkebygda erwartet weiss ich nicht.
Seit Røros hangle ich mich nur noch von Tag zu Tag und frage mich durch ob es auf der Strasse nach Süden Läden oder Tankstellen gibt um mich aufzuwärmen und meine Akkus zu laden. Es ist nicht der Regen der mir etwas ausmacht, der Regen ist friedfertig und trommelt stehts gleichmässig auf meine (nicht mehr ganz dichte) GoreTex Jacke. Auch nicht die Kälte; es ist die Mischung von beidem. Nass kaltes Wetter da will doch jeder am liebsten auf die Couch mit einer Tasse Kakao doch ich laufe 25 km weiter die Straße hinab. Tatsächlich gibt es in Kyrkebygda einen Coop den ich allerdings links liegen lasse und es mir im Café gegenüber gemütlich mache. Kaum ist die äussere Bekleidungsschicht abgezogen durchläuft mich ein schaudern beim ersten Schluck heissen Kaffee.
Heute Nacht drin zu verbringen hätte durchaus seinen Reiz. Auch da mein 3,6kg Leichtgewichtszelt sich nicht zu einem nassen schweren Klotz am Morgen verwandeln würde. Ich frage die Besitzerin des Kaffees ob es für heute Nacht irgendwo noch eine Unterkunft gibt. Tatsächlich 8 km weiter gibt es ein Hotel. Sie reserviert mir dort ein Zimmer. Ich bleibe noch etwas im Café und trinke vier weitere Tassen Kaffee.
Geräusche kann ich mittlerweile sehen als ich mit meiner Stirnlampe die Straße weiter hinab laufe dem See entlang nach Eikerapen Gjestegaard. Dort begrüßt mich Sandra die Hotel Managerin, eine gebürtige Norwegerin die in den USA aufgewachsen ist mit den Worten. «Oh my god you look like starving..»
Für das Zimmer hätte sie gerne 800 Kronen doch wir einigen uns auf eine gemütliche Hütte mit 30 % NPL Rabatt für 550 Kronen. Sie ist sehr interessiert an meiner Reise und wir machen einen kleinen wir für alle kommenden NPL Läufer, da sie das sehr toll findet das ich junge Menschen auf solch eine Reise zu Fuss einlassen. Leider bekomme ich den Kamin in der Hütte nicht so wirklich zum laufen es fehlt mir die Birkenrinde und das Kiefernholz lässt sich nicht spalten also koche ich mir meine letzte Packung Blå Band Wildernes Stew, Telefoniere mit daheim und falle beinahe unmittelbar in den Schlaf.
Die Sonne weckt mich ich höre ein Rauschen, halte es für starken Regen doch direkt vor meinem Fenster ist ein Bach, in dem spiegelnd jetzt farbenfroh die Sonne aufgeht. Ich nehme eine Dusche kehre die Hütte aus und gehe rüber an die Rezeption um Sandra um Frühstück zu bitten. Da es Nebensaison ist, sind im Hotel nur wenige Gäste und so sind wir nur zu dritt beim Frühstück.
Sandra tischt auf; eine solche Portion wäre unter normalen Umständen sehr gross doch mein Teller ist innerhalb von wenigen Minuten leer geputzt und gierig Staren meine Augen ob da noch mehr kommt. Sandra muss schmunzeln und bereitet mir Eggs&Bacon (komme so langsam auf den Geschmack) zu; ganz tolle Frau. Sie bietet mir sogar einen Job an im Hotel. Ach irgendwann wenn ich vernünftig norwegisch gelernt habe verbringe ich hier eine Saison. Es verbleiben circa 85 km und mir ist klar dass ich doch drei anstelle von zwei Tagen brauchen werde. Warum die Eile?
Nun ich habe meiner Oma vor einiger Zeit versprochen am 19. Oktober an einer Familienfeier in Bosnien zu sein. Dort trifft sich die gesamte Familie und keiner rechnet mit mir und ich plane sie zu überraschen. Doch ich laufe jetzt mal die Straße hinunter, ein konkretes Ziel habe ich heute nicht es wäre toll die Nacht in einem geschlossenen Raum zu verbringen da das Wetter wieder sehr schmuddelig ist wie die letzten Wochen. Nach dem guten Frühstück gebe ich auf der Landstraße richtig Gas es ist wenig Verkehr und ich mache einige Pausen. Über meine App Topo GPS kann ich erkennen, dass wenn ich die Straße verlassen und 1 km querfeldein gehe, sich die Gesamtstrecke um circa 1 Stunde verkürzt. An einem Bauernhof läuft mir ein kleines grün äugiges schwarz gestreiftes Kätzchen über den Weg. Ich wäre beinahe über sie gestolpert doch ihr schüchternes miau lässt mich aufhorchen und ich muss lächeln. Sie folgt mir beinahe 2 Stunden lang durch den Wald. Ich mache mir einen Kopf ob sie noch nach Hause findet und versuche sie zu verscheuchen, doch alles mit den Stöcken fuchteln hilft nicht; sie bleibt an mir dran. Erst als es im Wald sehr sumpfig und ich über einige Gräben hüpfe, wird ihr Wehklagen immer leiser bis es hinter mir verschwinden. Ich hoffe sie findet nach Hause. Zurück auf der Straße erkenne ich die Spuren des vergangenen starken Regenfalles. Viele Bäume liegen am Ufer entwurzelt und auf einem liegt ein toter Dachs. Ich bin einem solchen Tier noch nie so nahe gekommen und obwohl es bereits tot ist, habe ich doch gehörigen Schiss. Meine Hitliste spielt heute hoch und runter, «heeeeeeeey Juuuuude, doooon’t be affraaaaaid..» In Byrkeland komme ich 20 Minuten vor Ladenschluss im Joker an, steuere beinahe mechanisch auf das Kuchenregel zu, nehme mir den obligatorischen Liter Milch mit und setze mich mampfend vor den Eingang. 3000kcal Zuführung in 4 Minuten. So langsam wird es beängstigend mit dem Essen. Mit den Klängen des grossen Bobby Dylan laufe ich nach Svartemo. Einen Campingplatz oder Hotel gibt es hier leider nicht, es ist nass kalt und zu dunkel um weiterzulaufen. Aus Erfahrung weiss ich dass ich keinen guten Zeltplatz mehr finden werde. Doch im Ort gibt es einen Bahnhof und die meisten Bahnhöfe in Norwegen haben einen beheizte Wartesaal. Vielleicht habe ich ja Glück und er ist tatsächlich noch offen. Ich schleiche mich hinein lege mich ganz ruhig auf die Bank und bereite mein Abendessen zu. Sogar fließend Wasser gibt es hier auf der Toilette. Die ganze Nacht höre ich ein Ehepaar streiten anscheinend ist darüber eine Mietwohnung.
Ich bin ziemlich gerädert kaum geschlafen gönne ich mir ein übriges Frühstück mit Milch, Joghurt, Bananen und Müsli (reicht für zwei Kerle), packe meine 47 Sachen und laufe Richtung Lygdal was mein heutiges Ziel sein wird. Dort gibt es Läden und Campingplätze die hoffentlich noch offen sind. Heute ist irgendwie der Wurm drin ich komme nicht wirklich voran, so frustriert darüber dass ich für 25 km 9 Stunden gebraucht habe setze ich mich in Lyngdal gegen 19 Uhr in der Tankstelle an einen Stehtisch und verdrücke eine Packung Chips, zwei Red Bull, einen Liter Cola, eine Packung Kekse.. Ach das wäre viel zu viel zum Aufzählen; es grenzte an Völlerrei. Bin ich zu streng streng mit mir? Diese Frage stelle ich mir; ständige Frustration über die begangenen Wegstrecke, in einer gewissen Zeit setze mich sehr sehr stark unter Druck. Diesen Druck mache ich mir selbst ich selbst mein stärkster Kritiker? Sehr unzufrieden darüber dass ich es nicht geschafft habe heute bis nach Lindesnes zu kommen füttere ich weiter. «Das war nicht geplant und völlig unrealistisch also beruhig dich!» sage ich mir.
Doch für den Campingplatz 300NOK zu bezahlen sehe ich heute absolut nicht ein, also greife ich an der Kasse zu einer neongelben Warnweste undlaufen weiter nach Osten im Schein meier Kopflampe. Wohin weiß ich eigentlich gar nicht. Ich bin wütend auf mich selbst. Weil ich mich selbst überschätzt habe und es unrealistisch war heute 55km abzureissen, laufe ich einfach weiter automatisiert völlig stumpf.
Den Süden Norwegens nennt man den Bible Belt; überall sehe ich Gebetshäuser unter anderem die Zeugen Jehovas und andere Freikirchen. Ich habe meine Laufschuhe an, dafür muss ich dann allerdings meine schweren Bergstiefel im Rucksack tragen was ich ordentlich auf dem Rücken merke. Ich bin sehr froh meine reflektierende Rettungsweste da die Autofahrer hier nicht mit Gegenverkehr rechnen. Um mich selber zu unterhalten mache ich mir lustige Gedanken wie «Mensch du läufst ans Meer! ha ha ha» oder wie «am Morgen gibt’s eine Beach Party.»
Tatsächlich sehe ich seit sehr langer Zeit wieder auf das offene Meer hinaus. Ich laufe die Küste entlang, bergauf weiter nach Osten und jedes Geräusch im dunklen Wald lässt mich aufhorchen. Da ist irgendwas in den Büschen, irgendwas grosses also mache ich mit Krach auf mich aufmerksam. Oft wurde ich nach meine Heimkehr gefragt ob ich keine Angst vor wilden Tieren hatte. Klar doch Angst bringt dir nichts. An manchen Tagen war ich im Zelt so müde und dachte bei jedem brünstigen Geräusch draussen «friss mich aber tu es bitte jetzt sonst oder get the duck away from here!» Die Batterien meiner Kopflampe gehen zur Neige und ich mache eine Tee Pause an einer Brücke. Da ist wieder dieses dumpfe Gefühl.. Direkt hinter mir platscht irgendetwas in Wasser, ich kreische wie ein kleines Mädchen und nehme die Beine in die Hand als es noch einmal «Platsch» macht.
Mein Körper signalisiert mir das es reicht; ich soll aufhören doch ich laufe weiter.
Und fix bin ich unterwegs! Ich überquere die Brücke bei Jåsund und im Mondschein erkenne ich die schwachen Umrisse von Spangereid.
Tony hat mir mal von seinem längsten Tag berichtet. 47km auf der Strasse 30 haben mir die Kinnlade herunterklappen lassen und mir war nicht klar wie man soweit am Stück gehen kann. Im Hafen von Spangereid hinter der kleinen Kirche kollabiere ich beinahe, es dauert einen Moment mich von dem Schwindel zu erholenund tief durchzuschnaufen. Mir wird einmal mehr bewusst auf dieser Reise dass Distanzen, Angst und Schmerzen nur eine Illusion sind. «Kopfsache» wie mein letzter Maître sagte. In der Finnmark habe ich täglich meinen Kumpel Thomas angerufen und ihm stundenlang vorgejammert dass ich nicht voran komme. Der Arme hat gelangweilt irgendwann nicht mehr zugehört und einfach nur noch «hmm ja ok» gesagt. Drei Monate später weiß ich gar nicht mehr wie weit ich heute gelaufen bin, meine Füße sind dermaßen an der Hornhaut geschwollen dass jeder Schritt wehtut. Also schäle ich mich aus meinen Laufschuhen, esse was ich noch an Süßigkeiten habe, Schnüre meine Siebenhundert Meilenstiefel und sage mir „es ist erst vorbei wenn es vorbei ist!“ Natürlich könnte ich jetzt mein Zelt mit Aussicht aufs Meer irgendwo aufstellen, doch zwölf 12 km, nur 12 km(!!!), bis nach Lindesnes Fyr das lässt mir keine Ruhe, Zeilen aus dem Gedicht von Wilhelm Busch summe ich vor mich hin; «..unheilvoller Wandersinn..».
Bringen wir es zu Ende.
Ich möchte aufwachen und den Turm sehen oder noch besser ich möchte die Sonne direkt im Osten links des Turms aufgehen sehen wie sich aus dem Meer erhebt. Sie die mich 128 Tage begleitet hat, sich stehts um mich gedreht hat, während der Mitternachtssonne im Norden nur den Horizont berührt hat um dann direkt wieder aufzusteigen und die mir all den Weg gefolgt ist, oder bin ich ihr gefolgt? Bin ich ihr entgegen gelaufen oder wie war das noch mal? Die Sonne im Gesicht und im Herzen, ein bisschen Ungewissheit was gibt es schöneres auf der Welt? An einer Straße nach Süden auf neuen Abenteuern. Vieles geht mir durch den Kopf in den letzten Stunden meiner Reise, begleitet zu den Klängen von Syml, doch emotional fühle mich einfach nur stumpf ich empfinde nichts nicht einmal der Schmerz. Darüber bin ich hinaus. Es wird bald vorbei sein; der Gedanke daran ist das einzige was mich momentan beschäftigt, ich habe es auf einmal nicht mehr eilig anzukommen.
Ankommen, was bedeutet ankommen?
Ankommen daheim?
Ankommen einem Punkt im Leben?
Oder anzukommen an einem Ziel dass man sich gesetzt hat und für das man gearbeitet hat über Jahre hin weg?
Ich denke anzukommen bedeutet den Zustand, den man mit sich selber hat, wenn man im Reinen ist, wenn alles okay ist. Am Ende jedes Norge på langs steht die Frage «habe ich Norwegen gelebt?» Nicht ob ich in Norwegen gelebt habe, sondern wie intensiv ich das Land gelebt habe. Für mich persönlich kann ich sagen ich habe es gelebt; ich habe mit Norwegern gefischt, gerudert, getrunken, gegessen und meine letzte Schokolade mit ihnen geteilt um ein Gefühl für das Land zu bekommen. Ich bin mit Norwegern gelaufen, hab geflucht weil ich zu langsam war oder weil sie zu schnell waren und ihre gemütliche Art hat mich immer wieder zum Schmunzeln gebracht «dieses wir geben uns damit ab, das ist nun mal so» hab mich manchmal auch sehr genervt doch ich habe es zu lieben gelernt dieses Land das so kalt, nass und doch so einzigartig mit seinem Licht ist und seinen Wasser und das sein Volk erst so großartigen macht. So das war meine Liebeserklärung an Norwegen genug davon; weiter die Straße entlang, ich habe Linkin Park laut aufgedreht, die Straße hinunter durch das Dunkel kaum noch Batterien für meine Kopflampe und so sehe ich eigentlich nicht genau was da vor oder hinter mir ist, ich sehe nur den Standstreifen in der Mitte und eben dem folge ich. 3 km vor Lindesnes Fyr befindet sich ein Campingplatz dort könnte ich eigentlich Zelten doch das wäre verschwendet nein ich möchte es heute wirklich wissen ich möchte bis zum Turm laufen eigentlich hatte ich vor die letzten drei von 3000 km barfuß zu laufen, doch meine Füße sind bereits so angeschwollen dass ich bezweifle, sie noch mal in die Stiefel zu bekommen wenn ich diese jetzt abziehen.
Man sagt dass man an guten Tagen wenn das Wetter stimmt und es nicht besonders bewölkt ist das Feuer des Leuchtturms bis nach Dänemark sehen kann. Seit 200 Jahren zeigt dieser den Seefahren wo die norwegische Küste an ihrem südlichsten Zipfel beginnt. Und auch ich sehe so langsam immer wieder ein Flackern das herum wirbelt und verschwindet und auch immer noch völlig keinerlei Emotionen in mir hervorruft.
Die letzten Kilometer ziehe ich dann meine Schuhe aus und laufe barfuss auf dem kalten Asphalt der voller Spitzer Steine ist.
Jeder einzelne fühlt sich an wie eine Klinge unter meinen geschundenen Füssen. Ich erreiche den Parkplatz, es ist halb 5 morgens. Ich bin seit 20h unterwegs. 55km.
Pain is a Illusion. Heilfroh endlich angekommen zu sein, rolle ich meine Isomatte aus, schlüpfe in meinen Wollpyjama und verstaue alles andere damit es der Wind nicht davonträgt. Dann Strecke ich mich in meiner Daunentüte aus und betrachte die Sterne. Warum habe ich dass nicht öfters ohne Zelt gemacht? Erschöpft unter hellem Sternezelt mit dem Licht des Leuchtturms das über die Nordsee streift ist „Lindesnes ducking Fyr“ mein letzter Gedanke.